Schrauben halten unsere technisierte Welt zusammen. Aufmerksamkeit erfahren die unersetzlichen Verbindungselemente jedoch meist nur, wenn sie versagen. Die Praxis zeigt vielfach: Konstrukteure vernachlässigen Schraubverbindungen oder behandeln sie als notwendiges Übel. Dabei steckt im schraubgerechten Konstruieren ein riesiges Optimierungspotential, das sich durch den Erwerb spezialisierten Know-hows ausschöpfen lässt.
Jeder Vorsprung zählt im harten Wettbewerb. Die Industrie sucht allerorts nach Verbesserungen bestehender Produkte und investiert einen immensen Aufwand, um vergleichsweise marginale Fortschritte zu erzielen. Bei der Hatz nach immer mehr Leistung, Effizienz und Langlebigkeit gerät das Naheliegende leicht aus dem Fokus: Schrauben stecken nahezu in jedem Gerät und jeder Maschine und bilden schon durch ihre schiere Anzahl ein ungeahntes Potential. „Schrauben werden in vielen Konstruktionsabteilungen stiefmütterlich behandelt. Das liegt daran, dass sie im Studium des Maschinenbaus nach wie vor nur eine kleine Rolle spielen. Dieses Manko, das der Industrie und dem Handwerk in vielerlei Hinsicht teuer zu stehen kommt, lässt sich mit nachträglichen Schulungen im schraubgerechten Konstruieren beheben“, sagt Catrin Junkers, Geschäftsführerin der Akademie der Schraubverbindung (AdSV). Die Schulungsinhalte der nach ISO 29990 zertifizierten AdSV sprechen nicht nur Konstrukteure und Designer an, sondern qualifizieren auch Vorgesetzte. Diese können dann fundiert entscheiden, ob ihre Mitarbeiter in der Lage sind, das Potential schraubgerechter Konstruktionen zu erkennen und zu nutzen.
Wissen schafft Vorsprung: Wettbewerbsvorteile sichern
Schraubgerechte Konstruktionen erfordern ein tiefes Verständnis dieser speziellen Materie. „Die frühe Zusammenarbeit von Konstruktion und Montage kann den gesamten Schraubprozess verbessern. Das gilt insbesondere auch bei großen Schraubenabmessungen“, weiß Ulrich Oehms aus jahrzehntelanger Praxiserfahrung, die er als Trainer an der AdSV weitervermittelt. Das anfangs investierte Know-how zahlt sich im späteren Maschinenleben vielfach aus: Eine optimal ausgelegte Verschraubung erhöht signifikant die Sicherheit und Zuverlässigkeit, reduziert Gewicht und Kosten und spart wertvollen Bauraum. Zudem verringert eine schraubgerechte Konstruktion den Wartungsaufwand erheblich, Revisionszeiten fallen kürzer aus. Auch der ungeliebte Einsatz von kostspieligem und schwer verfügbarem Spezialwerkzeug kann durch eine vorausschauende Planung der Schraubstellen weitgehend vermieden werden. Leicht zu erreichende Schraubstellen erhöhen zudem die Arbeitssicherheit der Monteure, die nicht mit improvisierten Werkzeugen oder in gewagten Zwangsstellungen hantieren müssen. Und auch die Umwelt profitiert. Denn clevere Konstruktionen sind leichter, sparen Material und schonen Ressourcen, verbrauchen weniger Energie und reduzieren CO2-Emmisionen. „Über die Lebensdauer der Maschine summieren sich die Pluspunkte einer schraubgerechten Konstruktion zu handfesten Wettbewerbsvorteilen. Ein erfreuliches Beispiel dafür, welch hohe Renditen gezielte berufliche Weiterbildung trägt“, so Junkers. Der Input externer Experten schützt Unternehmen auch vor einer gefährlichen Immer-weiter-so-Mentalität, die Fehler fortschreibt und Innovationen hemmt. „Weiterbildung regt zum Überdenken von Prozessen an – und allein das erweist sich häufig als wertvoll. Beim Finden neuer, praxistauglicher Konstruktionen und Lösungen unterstützen wir unsere Kunden“, ergänzt Oehms.
Die normative Basis: VDI/VDE-MT 2637 – Blatt 1
Relevante Qualifikationsbausteine für Weiterbildungsmaßnahmen rund um das schraubgerechte Konstruieren beinhaltet die Richtlinie VDI/VDE-MT 2637 – Blatt 1. Der Qualifikationsbaustein Q1 behandelt die „Erstellung von Form und Layout“. Es gilt für den Konstrukteur, die Zugänglichkeit von Schraubstellen sowie Bauraum für Montage und Prüfung sicherzustellen. Dabei beachtet werden müssen Zugänglichkeit, Ökonomie und Ergonomie unter den vorhandenen Einbaubedingungen. Die auszuwählenden Schraubwerkzeuge müssen den Anforderungen der vorgegebenen Schraubfallkategorie entsprechen.
Die „Auswahl des Verbindungselements (verspannendes Element)“ thematisiert der Qualifikationsbaustein Q7. Der Konstrukteur muss ein Verbindungselement wählen, das die funktionalen Anforderungen erfüllt. Dies erfordert die Auswahl des Verbindungselements in Bezug auf Festigkeit, Geometrie, Oberfläche und Reibung sowie die Berücksichtigung der Variantenreduzierung.
Der Qualifikationsbaustein Q9 befasst sich mit der „Festlegung des Schraubverfahrens mit Ziel- und gegebenenfalls Zusatzparameter“. Die Tätigkeit umfasst die Auswahl eines Schraubverfahrens, das die vorher ermittelte Zielgröße „Montagevorspannkraft“ FM am geeignetsten in die Schraubverbindung einbringen kann. Ebenfalls festgelegt werden müssen die Steuer- und gegebenenfalls Kontrollgröße sowie gegebenenfalls die Montagedrehzahl(en).
Zu Unrecht oder aus Unwissenheit ausgeblendet werden häufig die Inhalte des Qualifikationsbausteins Q52 „Führung von Mitarbeitern“. Es ist von elementarer Bedeutung für den Erfolg der Weiterbildungsmaßnahme, dass auch die Führungskräfte für den Themenkomplex Schraubtechnik sensibilisiert werden und fachlich fit sind. Es ist ihre Aufgabe, die Maßnahmen, die ein schraubgerechtes Konstruieren fördern, im Unternehmen durchzusetzen. „Vorgesetzte müssen ein Bewusstsein für die Verantwortung hinsichtlich der Einhaltung gesetzlicher und normativer Vorgaben entwickeln. Wir schulen Führungskräfte hinsichtlich des ProdHaftG, ProdSG, der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG und der Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU“, sagt Catrin Junkers.
Qualität zahlt sich aus: Gütesiegel für Lerndienstleister
Wie eingangs erwähnt, lernen Maschinenbauer schraubgerechtes Konstruieren nicht explizit im Studium und es existiert auch kein einheitlicher Lehrplan für Weiterbildungsmaßnahmen, der die Lerninhalte in dieser vernachlässigten Disziplin unmissverständlich vorgibt. Die Auswahl eines geeigneten Lerndienstleisters ist damit Vertrauenssache. Von hoher Bedeutung für den Erfolg und den Praxisnutzen einer Investition in Bildung sind die Qualifikation und Erfahrung des Trainers. Zur Überprüfung dieser Qualitäten hat der VDI/VDE im September 2019 die Richtlinie VDI/VDE-MT 2637 – Blatt 2 aufgelegt. „Wir haben diese Norm lange herbeigesehnt. Sie schützt Unternehmen vor Hochstaplern im Bildungssektor, die mit der Vermittlung von Qualifikationen werben, die sie selbst nicht besitzen. Alle Trainer der AdSV erfüllen die hohen Ansprüche der VDI/VDE-MT 2637 – Blatt 2 seit jeher“, betont Junkers.